Schätzungsbefugnis als Anlass für ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren
In den letzten Jahren sind die Schätzungsfälle im Rahmen von Betriebsprüfungen drastisch gestiegen und in diesem Zusammenhang auch die gegen die verantwortlichen Geschäftsführer oder Inhaber eingeleiteten steuerstrafrechtichen Ermittlungsverfahren. Die Qualität der Schätzungsverfahren ist gerade durch den Einsatz von EDV-gestützten Kalkulationsprogrammen grundlegend verändert worden. Die steuerlichen Mehrergebnisse erreichen dabei eine Höhe, die z.T. die Existenz des Unternehmens bedrohen. Betriebsprüfungen werden demnach zunehmen. Die Betriebsprüfung wird dabei mit technisch hoch gerüsteten Personalcomputern und dem Einsatz von Prüfungs- und Kalkulationsprogrammen (u.a. „Win-Idea, Zeitreihenvergleich, Bentford-Gesetz und Chi-Quadrat-Test) durchgeführt. Die auf der Grundlage dieser Kalkulationsprogramme entstehenden Nachberechnungen führen zu einem Umfang an Mehrsteuern, die in der Vergangenheit kaum denkbar gewesen sind.
Die gesetzliche Grundlage zur Vornahme einer Schätzung durch die Finanzverwaltung ergibt sich aus § 162 AO. Insbesondere § 162 Abs. 2 A0 ist dabei zu beachten. Dort heißtm es:
Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben
keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine
Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2
verletzt.
Das gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerungen nicht nach § 158 zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Abs. 1 Nr. 5 nicht erteilt hat.
Nach § 158 A0 ist grundsätzlich der Buchführung des Steuerpflichtigen Beweiskraft für ihre Richtigkeit zuzumessen.
Dieser Grundsatz ist für den Steuerpflichtigen aus verschiedenen Gründen von enormer Bedeutung.
Zunächst sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der § 140 bis 148 entsprechen, demnach der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Des weiteren trägt das Finanzamt die Beweislast hinsichtlich des Vorliegens von Buchführungsfehlern, da aus dem Grundsatz nach § 158 AO eine Anscheinsvermutung hergeleitet wird, die immer dann erschüttert wird, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen formell nicht ordnungsgemäß sind.
Ist aber dieser Tatbestand erfüllt, so ist der Finanzverwaltung der Weg zur Schätzung eröffnet.
D.h. immer dann, wenn die Finanzverwaltung etwa durch Einzelprüfungen oder durch Verprobungen die sachliche Richtigkeit beanstandet, und demnach selbst kleine Fehler in der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ein Gewicht beigemessen wird, dass die Finanzverwaltung zu einer Vollschätzung berechtigt sein kann.
Die Finanzverwaltung überprüft danach nicht nur sachliche Mängel, sondern sucht verstärkt nach formellen Mängeln, um auf der Grundlage von formellen Mängeln die Nichteinhaltung der Ordnungsvorschriften und der Aufbewahrungspflichten rügen zu können.
Sachliche fehlerhafte Kassenberichte können etwa im Einzelfall zu einer Vollschätzung der Betriebseinnahmen führen.
Die Auswirkungen einer Schätzung sind für den Steuerpflichtigen unabseh- und unkalkulierbar, weshalb an dieser Stelle der Steueranwalt ansetzen muß, um Wege zu finden, einen Schätzungsfall zu verhindern.