Relevanz der A1-Bescheinigung im Sozialversicherungs- und Strafrecht
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat im Fall L 14 BA 111/18 über die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts bei internationalen Entsendungen entschieden. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Arbeitgeber, die Mitarbeiter aus dem Ausland in Deutschland beschäftigen.
In diesem Zusammenhang werden regelmäßig durch deutsche Strafverfolgungsbehörden auch flankierende Strafverfahren wegen des Vorwurfs nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) eingeleitet.
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg bietet nicht nur Anlass, sich mit der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung zu befassen, sondern auch Verteidigeransätze für den Strafverteidiger des Arbeitgebers im Inland.
Hintergrund:
Die Klägerin, eine bulgarische GmbH, schloss mit der B Hoch- & Tiefbau GmbH einen Vertrag zur Unterstützung im Projekt ‚Telekom FTTC Ausbau Bundesweit‘. Dabei setzte die Klägerin Mitarbeiter ein, die teils bulgarische, teils nordmazedonische Staatsangehörige waren.
Kernaussagen des Urteils:
Eine A1-Bescheinigung ist nicht zwingend erforderlich, um das deutsche Sozialversicherungsrecht bei Entsendungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auszuschließen. Ohne A1-Bescheinigung muss der Arbeitgeber jedoch nachweisen, dass die Voraussetzungen für eine Entsendung vorliegen. Das Urteil hat Auswirkungen für Arbeitgeber, die Arbeitnehmer international entsenden. Es klärt, unter welchen Bedingungen das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden ist und welche Nachweispflichten bestehen.
Fazit sowie sozial- und strafrechtliche Folgen und Möglichkeiten zur Verteidigung bei Fehlen der A1-Bescheinigung:
Auch wenn das Gericht die Revision zugelassen hat und damit noch nicht rechtskräftig ist, unterstreicht die Entscheidung wiederholt die Bedeutung der genauen Einhaltung und Dokumentation bei internationalen Mitarbeitereinsätzen. Arbeitgeber haben sorgfältig zu prüfen, ob sie alle erforderlichen Nachweise für eine Entsendung vorlegen können, um Nachforderungen zu vermeiden.
Generelle Bedeutung der A1-Bescheinigung:
Dabei kommt der sog. A1-Bescheinigung herausragende Bedeutung zu. Die A 1-Bescheinigung ist ein wichtiges Dokument für Arbeitgeber, wenn ihre Mitarbeiter vorübergehend in einem anderen EU-Land, EWR-Staat, der Schweiz oder Großbritannien arbeiten:
– Nachweis der Sozialversicherung: Die A1-Bescheinigung bestätigt, dass der entsandte Mitarbeiter weiterhin den Sozialversicherungsvorschriften seines Heimatlandes unterliegt, auch wenn er vorübergehend im Ausland arbeitet. Dies verhindert, dass der Arbeitnehmer doppelt Sozialversicherungsbeiträge zahlen muss, sowohl im Heimatland als auch im Einsatzland.
– Rechtliche Sicherheit: Sie sorgt dafür, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Heimatlandes während der Auslandstätigkeit weiterhin gelten. Dies ist besonders wichtig, um rechtliche Unsicherheiten und zusätzliche finanzielle Belastungen zu vermeiden.
– Vermeidung von Bußgeldern und Strafen: Ohne eine A1-Bescheinigung riskieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Kontrollen im Ausland hohe Bußgelder. Länder wie Spanien, Frankreich und Österreich haben ihre Kontrollen intensiviert und verlangen bei Grenzübertritten den Nachweis der A1-Bescheinigung. Dies gilt insbesondere auch in den Fällen von Arbeitnehmern im ausländischen Homeoffice.
– Vermeidung von doppelten Sozialversicherungsbeiträgen: Ohne die Bescheinigung könnten Arbeitgeber gezwungen sein, zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge im Einsatzland zu zahlen. Dies kann erhebliche zusätzliche Kosten verursachen.
– Zugang zu Arbeitsstätten: In einigen Fällen kann der fehlende Nachweis dazu führen, dass Arbeitnehmer den Zutritt zu bestimmten Arbeitsstätten, wie z.B. Messegeländen oder Firmengeländen, verweigert wird.
– Einhaltung gesetzlicher Vorschriften: Die A1-Bescheinigung ist gesetzlich vorgeschrieben und muss für jede vorübergehende Beschäftigung im Ausland beantragt werden. Dies gilt auch für kurzfristige oder stundenweise Entsendungen.
Beantragung der A1-Bescheinigung:
Die A1-Bescheinigung wird vom Arbeitgeber elektronisch bei der zuständigen Krankenkasse oder dem Sozialversicherungsträger beantragt. Der Antrag kann über geeignete Entgeltabrechnungsprogramme oder das SV-Meldeportal gestellt werden. Seit 2019 erfolgt die Ausstellung der Bescheinigung digital, was den Prozess beschleunigt und vereinfacht. Insgesamt ist die A1-Bescheinigung ein unverzichtbares Dokument für die rechtliche Absicherung und finanzielle Planung von Auslandseinsätzen. Sie schützt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vor rechtlichen und finanziellen Risiken.
Strafen bei fehlender A1-Bescheinigung:
Bei fehlender A1-Bescheinigung drohen verschiedene Strafen, die je nach Land unterschiedlich ausfallen können.
Sozialversicherungs- und strafrechtliche Folgen für ausländische Arbeitgeber im Inland:
Wenn ausländische Arbeitgeber für ihre zu Unrecht in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer keine A1-Bescheinigung vorlegen können und keine Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland abgeführt haben, drohen sozialversicherungs- und strafrechtliche Folgen:
– Straftat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt: Dies ist nach § 266a des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Arbeitgeber, die Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthalten, können mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.
– Bußgelder: Neben der strafrechtlichen Verfolgung können empfindliche Bußgelder verhängt werden. Diese können je nach Schwere des Verstoßes und Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer erheblich sein.
– Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen: Der Arbeitgeber wird verpflichtet, die nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend zu entrichten. Dies kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen, da sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil nachgezahlt werden müssen.#
– Zinsen und Säumniszuschläge: Zusätzlich zu den nachzuzahlenden Beiträgen können Zinsen und Säumniszuschläge erhoben werden, was die finanzielle Belastung weiter erhöht.
– Gewerbeuntersagung: In schweren Fällen oder bei wiederholten Verstößen kann den verantwortlichen Personen die Ausübung ihres Gewerbes untersagt werden.
– Eintrag ins Gewerbezentralregister: Die Verstöße werden im Gewerbezentralregister eingetragen, was sich negativ auf zukünftige geschäftliche Aktivitäten auswirken kann.
– Ausschluss von öffentlichen Aufträgen: Unternehmen, die wegen solcher Verstöße verurteilt wurden, können von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
Möglichkeiten der Verteidigung:
Die gültige A1-Bescheinigung legt verbindlich fest, dass der entsandte Arbeitnehmer weiterhin in seinem Heimatland sozialversicherungspflichtig bleibt, sie kann auch rückwirkend ausgestellt werden und schützt so den Arbeitgeber vor der Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland abzuführen.
Bei in diesem Zusammenhang eingeleiteten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 266a StGB, ist die BGH-Entscheidung vom 24. Januar 2018 (1 StR 331/17) von Bedeutung. In diesem Urteil hat der BGH die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse und der subjektiven Tatseite in Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt betont. Der BGH hat klargestellt, dass ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft als Tatbestandsirrtum behandelt werden kann, der den Vorsatz ausschließt. Da ein Verstoß gegen § 266a StGB nur vorsätzlich möglich ist, ist dies besonders relevant für Arbeitgeber, die sich über ihre Pflichten zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht im Klaren sind.
Hier bietet eine gültige A1-Bescheinigung und auch die o.g. aktuelle Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg Verteidigerpotential.
Nach dem Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg könnte irrtumsrechtlich sogar allein die Möglichkeit ausreichen, dass der Beschuldigte davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung einer sogenannten A1-Bescheinigung vorgelegen haben. Im Strafverfahren gegen die Arbeitgeber kann es ausreichend sein, diese Erwartung darzulegen und bestenfalls mit den notwendigen Unterlagen zu belegen.
In den entsprechenden Betriebsprüfungsverfahren hingegen sind die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten nicht ausreichend. Es sollte vielmehr geklärt werden, ob eine A1-Bescheinigung rückwirkend ausgestellt werden kann.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Vorabentscheidung zur Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie von Art. 5 und Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 die Verbindlichkeit der Ausstellung von A1-Bescheinigungen durch den Herkunftsmitgliedstaat hervorgehoben. Dies gilt insbesondere, nachdem der Aufnahmemitgliedstaat anerkannt hat, dass die Arbeitnehmer seinem System der sozialen Sicherheit angeschlossen sind.
Eine A1-Bescheinigung ist demnach für die Sozialversicherungsbehörden als auch für die Strafgerichte im Inland verbindlich. Diese Bindungswirkung bleibt bestehen, bis die Bescheinigung widerrufen oder für ungültig erklärt wird. Haben im Fall ohne ausgestellte A1-Bescheinigung die Voraussetzungen aber vorgelegen, kann die Bindungswirkung durch nachträgliche Ausstellung herbeigeführt werden.
Die vollständigen Urteilsdetails des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg sind unter folgendem Link abrufbar: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/index.php/node/176064