Bundesgerichtshof (Az I-StR-627/08) Urteil vom 07.03.2009: Bemessung des Umfangs der verkürzten Steuern bei nicht abgegebener oder Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuer-Voranmeldung
Der Bundesgerichtshof für Strafsachen hat in seinem Urteil vom 17.03.2009 entschieden, dass bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern sich der Umfang der verkürzten Steuern oder erlangten Steuervorteile auch dann nach deren Nominalbetrag bemisst, wenn die Tathandlung in der pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuer-Voranmeldung im Sinne von § 18 Abs. 1 UStG liegt. Der Bundesgerichtshof hat dem Umstand, dass in solchen Fällen im Hinblick auf die Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung nach § 18 Abs. 3 UStG zunächst nur eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“ gegeben ist, eine Absage dahingehend erteilt, dass dies nicht dazu führe, dass der tatbestandsmäßige Erfolg lediglich in der Höhe der Hinterziehungszinsen zu erblicken wäre.
In dem vorliegenden Fall hatte das Landgericht den umfassend geständigen Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 59 Fällen zu einer Gesamtfallstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und daneben zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Mit ihrem Rechtsmittel hatte die Staatsanwaltschaft Erfolg.
Der Bundesgerichtshof hat deutlich gemacht, dass der „Hinterziehungsschaden“ nicht allein in der verspäteten Steuerfestsetzung gesehen und sich nicht nur aus den sich ergebenden „Zinsverlusten“ ermittelt werden kann. Der tatbestandliche Erfolg einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO sei die Steuerverkürzung bzw. die Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile. Der Umfang der verkürzten Steuern oder erlangten Steuervorteile bemisst sich dabei aber nach dem Nominalbetrag und nicht auf die Hinterziehungszinsen. Dies habe auch zu gelten, wenn bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern die Tathandlung in der pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuer-Voranmeldung bestehe. Hieran ändere auch nichts der Umstand, dass der Unternehmer nicht nur Umsatzsteuer-Voranmeldungen, sondern für jedes Kalenderjahr auch eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben hat. Hierbei hat der Bundesgerichtshof nochmals auf den Umstand hingewiesen, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldung und die Umsatzsteuer-Jahreserklärung Steueranmeldungen im Sinne von § 150 Abs. 1 Satz 3 AO darstellen, die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 168 Abs. 1 AO gleichzusetzen sind. Auch entbinde aufgrund der verfahrensrechtlichen Selbstständigkeit beider Arten von Steueranmeldungen die Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuer-Voranmeldungen den Unternehmer nicht von der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung. Auch umgekehrt lasse ein Zutreffen der Umsatzsteuer-Jahreserklärung nicht die steuerrechtliche Pflicht zur Einreichung noch ausstehender Umsatzsteuer-Voranmeldungen entfallen. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Summe der Vorauszahlungen mit der Steuer für den Besteuerungszeitraum deckt.
Die Steuerhinterziehung wegen der Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuer-Voranmeldungen und die Pflicht zur rechtzeitigen Einreichung einer zutreffenden Umsatzsteuer-Jahreserklärung stehen demnach nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander, wenn sie dasselbe Kalenderjahr betreffen. Beide Delikte haben demnach einen selbstständigen Unrechtsgehalt aufgrund des jeder Steueranmeldung zukommenden eigenständigen Erklärungswerts, der auch durch die Zusammenfassung einer Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird.
Praktisch heißt das, dass bei der Pflicht zur Abgabe von vierteljährlichen Voranmeldungserklärungen zusammen mit der Umsatzsteuer-Jahreserklärung bis zu fünf und bei monatlich abzugebenden Voranmeldungen gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG zusammen mit der Jahreserklärung insgesamt 13 materiell von einander unabhängige Taten der Steuerhinterziehung möglich sind.
Die Taten sind bei unrichtiger Abgabe vollendet, sobald die jeweilige Anmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat und in den Fällen des § 168 Abs. 1 AO also bereits mit Einreichung der Steueranmeldung, ansonsten mit Zustimmung der Finanzbehörde gem. § 168 Satz 2 AO.
Der Bundesgerichtshof hat des Weiteren deutlich gemacht, dass der tatbestandsmäßige Erfolg der Steuerhinterziehung ausgehend vom Schutzzweck des verwirklichten Straftatbestandes zu bestimmen ist, wobei die gesetzgeberischen Wertungen des materiellen Steuerrechts, dass die Blanquet-Norm des § 270 AO ausfüllt, zu berücksichtigen sind. Danach gilt folgendes:
Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch nicht notwendig Verletzungsdelikt. Die im Festsetzungsverfahren begangene Steuerhinterziehung ist vielmehr konkretes Gefährdungsdelikt, wobei die geschuldete Steuer bereits dann verkürzt ist, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird.
Die Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG dienen der zeitnahen Erfassung und Erhebung der Umsatzsteuer. Bereits auf dieser Grundlage und nicht erst nach Einreichung der Umsatzsteuer-Jahreserklärung soll dem Staat der wesentliche Teil des Umsatzsteueraufkommens zufließen. Deshalb hat der Unternehmer schon für die Voranmeldungszeiträume die geschuldete Steuer binnen 10 Tagen nach Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums nicht nur selbst zu berechnen, sondern auch an das Finanzamt abzuführen gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 UStG.
Bei einer Verletzung der Pflichten zur Einreichung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen besteht die gem. § 370 AO strafbewährte Gefährdung des sich aus § 18 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 UStG ergebenden Steueranspruchs unabhängig davon, ob der Steuerschuldner beabsichtigt, zu einem späteren Zeitpunkt – namentlich in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung – falsche Angaben zu berichtigen bzw. fehlende Angaben nachzuholen, oder ob er eine Steuerverkürzung „auf Dauer“ anstrebt. In jedem Fall bezweckt er zunächst eine unrichtige Festsetzung. Deren spätere Korrektur ist zwar möglich, jedoch ist diese von weiteren in der Zukunft liegenden und noch ungewissen Ereignissen abhängig. Unterschiedlich ist insoweit lediglich – in Abhängigkeit von den Planungen des Täters – die Intensität der Gefährdung. Dieser Umstand ist zwar für die Strafzumessung von Bedeutung, lässt aber den Umfang des tatbestandsmäßigen Erfolgs unberührt. In beiden Fällen ist das Erfolgsunrecht identisch.
Im Hinblick auf den Charakter der Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt unterscheiden sich daher beide Umsatzsteuerhinterziehungen, die Verkürzung „auf Dauer“ und diejenige „auf Zeit“, nicht im Erfolgs-, sondern – im Hinblick auf das Vorstellungsbild des Täters – nur im Handlungsunrecht.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist demnach zu prüfen, ob der Täter die durch unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldung erlangte Liquidität durch Abgabe einer korrekten Umsatzsteuer-Jahreserklärung berichtigt und sein Ziel eine Schadenswiedergutmachung ist. Dann sind die Fälle zu entscheiden, ob der Täter die Steuererklärung berichtigt und seinem Tatplan entsprechend auch in einer Umsatzsteuererklärung seine unrichtigen Angaben richtigstellt und die zunächst hinterzogenen Steuern nachentrichtet, so dass in diesem Fall auch eine Ahndung der Steuerhinterziehung „auf Zeit“ nicht in Betracht kommt, weil regelmäßig dann in solchen Fällen die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO vorliegen.
Wenn der Täter seine Voranmeldungen und die darin gemachten unrichtigen Angaben entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung nicht berichtigt, geht die durch Verkürzung „auf Zeit“ geplante Hinterziehung in eine solche „auf Dauer“ über. Mit der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuer-Jahreserklärung begeht der Täter dann eine weitere Tat mit neuem Handlungsunrecht und weiterem Erfolgsunrecht, das in einer neuen und eigenständigen Gefährdung des Steueraufkommens besteht.
Der dritte Fall ist der, dass der Täter mit seiner zunächst beabsichtigten Schadenswiedergutmachung daran scheitert, dass ihm nach der wahrheitsgemäßen Umsatzsteuer-Jahreserklärung aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich ist, den Unterschiedsbetrag im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG nachzuentrichten und es ebenfalls dann zu einer dauerhaften Verkürzung der Steuer kommt. Hier sind im Rahmen der Strafzumessung dem Täter Zugeständnisse zu machen, jedoch nur dann, wenn nicht bereits bestehende finanzielle Schwierigkeiten das Motiv für die Abgabe falscher Umsatzsteuer-Voranmeldungen war.
Insgesamt führt dies Urteil und die darin ausführlich gemachten Klarstellungen des Bundesgerichtshofes zu einer weiteren Verschärfung des Steuerstrafrechts. Denn die zunächst als Unrecht zugrunde gelegten Hinterziehungszinsen haben im vorliegenden Fall lediglich zu einer Geldstrafe geführt, da das Landgericht von einem zu niedrigen Verkürzungsumfang ausgegangen ist. Insoweit dürfte zukünftig ebenfalls bezüglich der Abgabe unrichtiger Voranmeldungen bzw. der pflichtwidrigen Nichtabgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen nicht nur lediglich von einer Steuerverkürzung „auf Zeit“ in Höhe der Hinterziehungszinsen, sondern von einer erfolgsverwirklichten Steuerhinterziehung ausgegangen werden, die nur noch dann als Umsatzsteuerhinterziehung „auf Zeit“ angesehen werden kann, wenn der Täter sich lediglich Liquidität verschaffen wollte und vollständige Schadenswiedergutmachung durch Abgabe einer richtigen Jahressteuererklärung von Anfang an geplant gewesen ist.