Urteil des FG Niedersachsen: Teilentgeltliche Immobilienübertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge

Kernaussagen des Urteils

Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat in seinem Urteil v. 29.5.2024 (Az. 3 K 36/24) die steuerliche Behandlung von teilentgeltlichen Übertragungen von Immobilien im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge beleuchtet. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob ein solcher Vorgang als steuerpflichtiger Veräußerungsvorgang nach § 23 EStG zu werten ist, und ob dies zu einer Doppelbesteuerung führen könnte.

Kein realisierter Wertzuwachs

Das Gericht entschied, dass bei der Übertragung von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – insbesondere, wenn der Übertragungswert unterhalb der historischen Anschaffungskosten liegt – kein „realisierter Wertzuwachs“ vorliegt, der der ertragsteuerlichen Besteuerung unterliegt. Es handelt sich dabei um einen Vermögenstransfer im familiären Umfeld ohne die Erzielung eines tatsächlichen wirtschaftlichen Gewinns.

Fiktiver Ertrag und Doppelbesteuerung

Das Urteil kritisiert, dass die Besteuerung eines fiktiven Ertrags zu einer tatsächlichen Doppelbesteuerung führen könnte. Dies wäre der Fall, wenn der identische Sachverhalt sowohl der Ertragsteuer nach § 23 EStG als privates Veräußerungsgeschäft als auch der Erbschaftsteuer nach § 7 ErbStG als „gemischte Schenkung“ unterliegt. Diese Doppelbesteuerung würde sowohl den „Schenker“ als auch den „Beschenkten“ finanziell belasten, ohne dass beim Übertragenden ein positiver Cashflow entsteht.

Wertungswiderspruch zum ErbStG

Das Gericht stellte zudem fest, dass eine solche Besteuerungspraxis im Widerspruch zur Wertung des ErbStG stehen würde. Der Gesetzgeber hat durch hohe Freibeträge im ErbStG gezielt eine Steuererleichterung für Vermögensübertragungen innerhalb der Familie vorgesehen. Die im Streitfall vom Finanzamt angenommene Ertragsteuer hätte diese Absicht konterkariert, da sie eine Doppelbesteuerung verursachen würde, die durch den identischen Sachverhalt in beiden Steuergesetzen ausgelöst wird.

Beispiel zur Doppelbesteuerung

Das Gericht führte aus, dass im konkreten Fall eine theoretische Schenkungssteuer von 10.450 EUR für die Tochter anfallen könnte, wenn die schenkungsteuerlichen Freibeträge ausgeschöpft wären. Zusätzlich müsste der Vater 17.075 EUR als Einkommensteuer zahlen. Dies illustriert die problematische Doppelbesteuerung, die durch die Anwendung sowohl des EStG als auch des ErbStG entstehen würde.

Beratungsempfehlung

Für die steuerliche Planung bei der Übertragung von Immobilien innerhalb der Familie sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

  1. Dokumentation und Bewertung: Der familiäre Hintergrund und die Motivationen für die Übertragung sollten klar dokumentiert werden. Eine Bewertung der Immobilie durch einen unabhängigen Gutachter könnte helfen, den geringen Übertragungswert im Verhältnis zum Marktwert zu rechtfertigen.
  2. Vermeidung fiktiver Erträge und Doppelbesteuerung: Es sollte darauf geachtet werden, dass keine doppelte Besteuerung des identischen Sachverhalts erfolgt. Dies bedeutet, dass eine sorgfältige Planung nötig ist, um sicherzustellen, dass der Vorgang entweder nach dem ErbStG oder nach dem EStG besteuert wird, jedoch nicht nach beiden gleichzeitig.
  3. Steuerliche Beratung: Vor der Durchführung einer solchen Übertragung sollte eine umfassende steuerliche Beratung erfolgen, um unerwartete steuerliche Folgen, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Doppelbesteuerung, zu vermeiden.

Dieses Urteil stärkt die Position von Steuerpflichtigen, die Immobilien innerhalb der Familie übertragen möchten, und zeigt auf, wie wichtig es ist, eine steuerliche Doppelbelastung zu vermeiden. Insgesamt bietet dieses Urteil zudem eine wertvolle Orientierung für die steuerrechtliche Behandlung von teilentgeltlichen Immobilienübertragungen innerhalb der Familie.

Allerdings hat das FG Niedersachsen in Münster die Revision zum BFH (Az. IX R 17/24) zugelassen, da eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. In der Rechtsprechung des BFH ist danach weiterhin ungeklärt, ob bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des § 23 EStG durch die Heranziehung von Verkehrswerten auf den Zeitpunkt der Übertragung lediglich fiktive, aber nicht tatsächlich realisierte Überschüsse iSd sog. strengen Trennungstheorie der Besteuerung unterliegen.