Verjährungsunterbrechung im Steuerstrafrecht – iudex calculat!
Im Fall „Schreiber“ hat der erste Senat des Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28. Juli 2015 (Az. 1 StR 602/14) einmal mehr Beleg für die Fallstricke bei der Berechnung der Verfolgungsverjährung erbracht, die sich insbesondere im Steuerstrafrecht ergeben können. Bei der Berechnung ist daher besondere Sorgfalt gefragt.
Die dem Angeklagten in der entschiedenen Rechtssache zur Last gelegten Handlungen waren – soweit die Vorwürfe Bestechung und Beihilfe zur Untreue betrafen – verjährt. Die bis in das Jahr 1988 zurückreichenden Steuerhinterziehungen konnten auch aufgrund mehrerer zwischenzeitlicher Gesetzesänderungen – darunter die am 11. August 2005 in Kraft getretene, bezeichnenderweise „Lex Schreiber“ genannte Verschärfungsregelung – mehr als 25 Jahre nach Tatbegehung noch abgeurteilt werden.
Die Kombination von Unterbrechungs- und Ruhensregelungen kann dazu führen, dass eine Tat weit über das Ende der absoluten Verjährung hinaus verfolgbar bleibt. Zwar betrug die Verfolgungsverjährung in der entschiedenen Sache bei Tatbeendigung „nur“ fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Verjährung war aber mehrmals, u. a. durch Anordnung der ersten Vernehmung, Durchsuchungsanordnungen, Haftbefehl und Anklageerhebung (vgl. § 78c Abs. 1 Nr. 1-6 StGB) unterbrochen worden mit der Rechtsfolge, dass die Verjährung jeweils von Neuem zu laufen begann.
Zwar bewirkt die absolute Verjährung grundsätzlich, dass eine Tat nach dem Ablauf der doppelten Verjährungsfrist (hier mithin zehn Jahre) auch bei Unterbrechungen nicht verfolgt werden kann. Durch die Eröffnung der Hauptverhandlung ruhte die Verjährung aber ab dem 1. August 2000 nach dem erst ab dem 1. März 1993 geltenden § 78b Abs. 4 StGB für fünf Jahre. Durch den eingefügten § 78 Abs. 5 StGB („Lex Schreiber“) ruhte die Verjährung erneut ab Zugang eines Rechtshilfeersuchens, mit dem die Auslieferung des Angeklagten bei den kanadischen Behörden erreicht wurde. Da das Ruhen in die absolute Frist nicht eingerechnet wird, verlängerte sich die Verjährungsfrist erheblich.
Mit der zwischenzeitlich (gesetzlich) erhöhten Verjährungsfrist der schweren Steuerhinterziehung auf zehn Jahre mit Wirkung für alle zum 25. Dezember 2008 noch nicht verjährten Taten konnte am 5. Mai 2010 noch eine Verurteilung ergehen, obwohl bei Tatbegehung eine einfache Verfolgungsverjährung von fünf Jahren vorgesehen war.
Praxistipp: Der Fall belegt das Erfordernis gründlicher Prüfung der Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, die durch die Behörden nicht immer unter allen Gesichtspunkten vorgenommen wird. Hier können sich gewinnbringende Verteidigungsansätze ergeben, die nicht ungenutzt bleiben sollten.